„Was als Grundsatz für den Ziegel gilt, sollte auch das Endziel aller Normen sein: mit möglichst wenig, aber gutem Material und möglichst wenig, aber guter Arbeit das zu erreichen, was bisher mit entgegengesetzten Mitteln angestrebt worden ist“, so liest man in Josef Franks Schrift „Siedlungen und Normen“.
Mit der Industrialisierung kam aufgrund des großen Bedarfs an Fabriken, Wohnbauten und öffentlichen Bauten der Ziegelbau zur Hochblüte. Um Ziegel von mehreren Lieferanten beziehen bzw. transportieren zu können, wurden genormte Ziegelformate eingeführt, die sich zwar nach wie vor länderspezifisch unterscheiden, aber alle nach demselben System funktionieren: Eine Länge ergibt zweimal die Breite plus eine Stoßfugenstärke sowie dreimal die Höhe und zwei Lagerfugenstärken.
An erster Stelle sei hier der Amerikaner Frank Lloyd Wright (1867–1959) genannt. Ein Architekt, dessen Werk ebenso umfangreich wie visionär und dessen Einfluss bis heute ungebrochen ist. Er prägte den Begriff der „organischen Architektur“ und meinte damit die respektvolle Verbindung der Architektur mit der Landschaft, der Kunst und den menschlichen Bedürfnissen. Holz, Stein und eben auch Ziegel waren für ihn Materialien, die er in diesem Zusammenhang für angemessen hielt und in den meisten Fällen unverputzt und unverkleidet einsetzte.
Seine „Prairie-Häuser“ (ab 1910) stehen beispielhaft für diese Haltung, wobei die niedrige, flächige, horizontale Bauweise durch die Betonung der Längsfuge im Ziegelmauerwerk unterstrichen wurde.
Nur wenig jünger war Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969), einer der bedeutendsten Architekten der Moderne, allerdings sprachen seine Gebäude eine bereits weitaus nüchternere Sprache als jene von Wright. So entstanden zwischen 1927 und 1930 in Krefeld die kürzlich renovierten Villen Lange und Esters, zwei benachbarte Häuser in Ziegelbauweise mit Stahlträgern, die sich ebenfalls durch flächige Anlage, ausgewogene Proportionen und starken Landschaftsbezug auszeichnen.
„Architektur beginnt dort, wo zwei Steine sorgfältig aufeinander gesetzt werden“ und „Wie vernünftig ist diese kleine handliche Form, so nützlich für jeden Zweck. Welche Logik im Verband, im Muster und Textur. Welcher Reichtum in der einfachen Mauerfläche, aber wie viel Disziplin verlangt dieses Material!“, schrieb Mies van der Rohe.
Die zweischaligen Außenwände der Villen bestehen aus tragenden Reichsformatziegeln an der Innenseite sowie im Blockverband gemauerten dunkelrot gebrannten Ziegeln im Oldenburger Format als Vorsatzschale, die durch das Verzahnen einzelner Binder jeder dritten Lage mit dem Mauerkern verbunden ist. Die Lagerfugen wurden von unten nach oben eingewinkelt, der Mörtel schwarz eingefärbt.
Der Gesamteindruck der Häuser ist monolithisch, einfach, streng und nach außen hin geschlossen. Die Lebhaftigkeit der Ziegelfassade, der Kontrast der die Horizontalität betonenden Lagerfugen zu einzelnen vertikalen Elementen und die großen Fensterflächen verleihen den Villen jedoch bereits eine Leichtigkeit, die für Mies’ spätere Bauten der „weißen Moderne“ charakteristisch ist.
Eine Verbindung zu Mies van der Rohe lässt sich auch bei manchen Bauten des zeitgenössischen englischen Architekten David Chipperfield ablesen. So errichtete er in Berlin ein privates Wohnhaus (1994–1997) mit handgemachten Ziegeln, dessen Verwandtschaft mit Mies’ Villen in Krefeld auf Chipperfields Homepage folgendermaßen beschrieben wird: „[…] the house gains a physical solidity reminiscent of the early Modernist houses of Erich Mendelsohn and Mies van der Rohe, especially the latter’s three projects of the late 1920s: Wolf, Esters and Lange. The irregularities of the textured, hand-made brick finish contrast with the smoothness and consistency of the steel-framed glazing.”
Trotz der offensichtlichen Parallelen ist Chipperfields Haus keineswegs „altmodisch“, sondern ein Beispiel zeitlos qualitätsvoller, atmosphärischer Architektur, die aus der gekonnten Verbindung von Bauaufgabe, Situierung am Grundstück, Proportion, Materialität, Details und Ausführung entsteht.
Chipperfield war es auch, der nicht nur den Masterplan für den Wiederaufbau und die Erweiterung der Berliner Museumsinsel verfasste, sondern auch das Neue Museum wieder aufbaute. Der im Zweiten Weltkrieg stark – und zum Teil unwiderruflich – beschädigte Monumentalbau wurde zwischen 1843 und 1855 vom Schinkel-Schüler Friedrich August Stüler errichtet. Neben einer Vielzahl an anderen Maßnahmen entschied sich Chipperfield dafür, das Volumen des zerstörten Westflügels mit dem ursprünglichen Material, nämlich Ziegel im Reichsformat, zu schließen; allerdings nicht wie beim Altbau verputzt, sondern als Sichtmauerwerk. Beeindruckendes Zentrum des Neuen Museums ist aber die große Treppenhalle.
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