Für die Nachweise jedes zu betrachtenden Grenzzustandes sind die Schnittkräfte an passenden Bemessungsmodellen unter Beachtung folgender Punkte festzulegen:
- eine entsprechende Beschreibung des Tragwerkes, der verwendeten Materialien und der Umweltbedingungen,
- das Verhalten des ganzen Tragwerkes oder von Teilen davon, in Bezug zum betrachteten Grenzzustand,
- die Einwirkungen und ihre Einleitung in das Tragwerk.
Das Verhalten eines Tragwerkes ist entweder unter Anwendung eines nichtlinearen Berechnungsverfahrens unter Berücksichtigung des jeweiligen Spannungs-Dehnungs-Verhaltens des Materials oder durch ein Berechnungsverfahren nach der Elastizitätstheorie unter Ansatz eines linear-elastischen Materialverhaltens mit einer Steigung entsprechend dem Sekantenmodul bei Kurzzeitbelastung zu berechnen.
Die Ergebnisse der Schnittkraftermittlung müssen für alle Bauteile nachfolgende Kräfte liefern:
- Normalkräfte infolge vertikaler und horizontaler Einwirkungen,
- Schubkräfte infolge vertikaler und/oder horizontaler Einwirkungen,
- Biegemomente infolge vertikaler und/oder horizontaler Einwirkungen,
- wenn vorhanden die Torsionsmomente.
Neben der Tragwerksbemessung für Einwirkungen aus üblicher Nutzung ist auch ausreichend sicherzustellen, dass das Tragwerk bei missbräuchlicher Nutzung oder Unfall nicht plötzlich einstürzt oder unverhältnismäßig stark beschädigt wird.
Imperfektionen
Bei der Bemessung nach ÖNORM EN 1996-1-1 sind die Auswirkungen von Imperfektionen zu berücksichtigen. Dies erfolgt durch die Annahme einer Schiefstellung des Tragwerkes mit einem Winkel 𝜐. Die daraus resultierende horizontale Einwirkung ist dann zusätzlich zu den anderen Einwirkungen anzusetzen.
Dieser Ansatz ergibt beispielsweise bei einem Gebäude mit 20 m Gesamthöhe eine Schiefstellung von 4,4 cm.
Bei einer Geschoßschiefstellung von 7 mm und einem Geschoßgesamtgewicht von angenommen 7000 kN resultiert aus der Schiefstellung eine Horizontalkomponente von ca. 16kN. Diese Kraft ist auf die aussteifenden Wandscheiben zu verteilen und den horizontalen Geschoßkräften zuzuschlagen – die Höhe der Kraft zeigt aber die Bedeutung dieses Ansatzes.
Theorie II. Ordnung
Die einzelnen Teile von Tragwerken, die nach ÖNORM EN 1996-1-1 bemessene Mauerwerkswände enthalten, müssen räumlich so ausgesteift sein, dass sie insgesamt unverschieblich sind bzw. eintretende Verformungen in der Berechnung berücksichtigt werden. Diese Berücksichtigung der Verformungen des Tragwerkes ist nicht erforderlich, wenn die lotrechten aussteifenden Bauteile in der betrachteten Richtung der Biegebeanspruchung im maßgebenden unteren Schnitt die Bedingungen der Formel (6-27) erfüllen.
Öffnungen in vertikal aussteifenden Elementen mit einer Fläche von weniger als 2 m2 und einer Höhe von nicht mehr als 0,6·h dürfen bei der Berechnung von Σ EΙ vernachlässigt werden. Eine Methode für die Berechnung der Exzentrizität eines Aussteifungskerns infolge Schiefstellung ist in “Berechnung der Ausmitte eines Stabilisierungskerns – ÖNORM EN 1996-1-1“ angeführt.
Berechnung der Lastausmitte bei Wänden – ÖNORM EN 1996-1-1
Im Gegensatz um vereinfachten Nachweisverfahren nach ÖNORM EN 1996-3, wo auf die explizite Ermittlung von Biegemomenten aus Deckeneinspannung oder Deckenauflagerung verzichtet wird, müssen beim genaueren Rechenverfahren nach ÖNORM EN 1996-1-1 die Knotenmomente – und in weiterer Folge die daraus abgeleiteten Lastausmitten der wirkenden Normalkräfte – recht aufwändig ermittelt werden.
Für die Berechnung der Lastausmitte bei Wänden darf aber vereinfachend der Wand-DeckenKnoten als nicht gerissen angesehen und elastisches Verhalten der Baustoffe angenommen werden. Es muss jedoch entweder eine Rahmenberechnung oder eine Berechnung des einzelnen Knotens mit Teileinspannung (bzw. sogar beides) vorgenommen werden.
Dabei wird empfohlen, für die Berechnung der Knoten nur Teilbereiche der Tragstruktur zu modellieren. Sofern gesamte Gebäude in einem nachgebildet werden, ist auf die Berücksichtigung der Bauzustände zu achten, um die Effekte von Zwängen zufolge unrealistischer Verformungen zu minimieren. Normalkraftkonzentrationen in den Einzelpfeilern sowie in Lasteinleitungsbereichen sind zu beachten, wobei jeweils die Möglichkeit eines gesicherten Ausgleichs im Parapetmauerwerk zu überprüfen ist. Zu beachten ist, dass verschiedene Lastkombinationen heranzuziehen und wobei günstige Einwirkungen mit einer reduzierten Lastsicherheit anzusetzen sind.
Im Sinne der Rissefreiheit sollte beachtet werden, dass bei Knotenmomenten, die zu größeren Exzentrizitäten über 0,45·t führen, infolge der möglichen Deckenverdrehung Rissbildungen an der der Last gegenüberliegenden Seite der Wand auftreten können
Berechnung eines Rahmenknotens
Die Berechnung des Knotens kann vereinfacht anhand einer Rahmenstruktur aus zwei Teilrahmen mit steifen Ecken behandelt werden. Das Rechenmodell wurde so konzipiert, dass sowohl Innenwand- wie auch Außenwandknoten durch die Wahl der benötigten Stäbe zu abgedeckt werden und die inneren Kräfte sowohl in Wandfuß, Wandmitte, aber auch Wandkopf errechenbar sind (6-28).
Der Knoten 1 definiert immer die Ergebnisse am Wandkopf (Rahmen a), Knoten 2 die am Wandfuß (Rahmen b). Zwischen den Knoten liegt die betrachtete Wand. Die Momente am oberen Stabende 1b (Knotenmoment M1) und dem unteren Stabende 2a (M2) können mittels einer angepassten Rahmenformel errechnet werden.
Dieses Modell verlangt eine kontinuierliche Einspannung der Decken in den Wänden und geht von einer vollständigen Auflagerung der Decken im Rostbereich aus. Beim Ansatz der Steifigkeiten der Wand sind die Fensteröffnungen als steifigkeitsmindernd zu berücksichtigen.
Die Ergebnisse der Berechnung liegen im Allgemeinen auf der sicheren Seite, da die in der Realität erreichbare Einspannung des Decken-Wand-Knotens kleiner ist wie jene aus dem Ansatz der Volleinspannung. Diese „Weichheit“ im Knoten darf bei der Bemessung durch eine Verringerung des Moments bzw. der errechneten Ausmitte durch Ansatz eines Faktors η berücksichtigt werden. Dieser ist experimentell zu bestimmen oder nach Formel (6-29) anzunehmen.
Das beschriebene Rahmenmodell kann nur bei Decken mit Möglichkeit einer wesentlichen Momentenübertragung im Knoten verwendet werden, für Holzbalkendecken oder auch Rippendecken ist es nicht geeignet.
Wenn die errechnete Ausmitte größer als das 0,45-Fache der Wanddicke ist, darf die Ausmitte der Last unter dem Ansatz einer maximal wirksamen Bemessungslast Nd, ermittelt aus der Minimalauflagertiefe von höchstens 0,1·t, errechnet werden.
Ausmitte der Bemessungslast bei nur teilweiser Deckenauflagerung
Ein weiterer Modellansatz betrachtet die Knotensituation ohne Berücksichtigung der Einflüsse der Steifigkeit der einbindenden Bauteile (starre Stäbe). Dieser Ansatz ist dann zu verwenden, wenn die Decke nur über einen Teil der Wandstärke aufliegt (streng genommen gilt das auch bei vollständiger Auflagerung). Dabei wird die maximale Einspannwirkung untersucht, die mit der von oben einwirkenden Normalkraft NEdu mit maximal möglichem Hebelarm (Abbildung 6-09) realisiert werden kann.
Das Moment oberhalb der Decke MEdu und das Moment unterhalb der Decke MEdf müssen jedoch kleiner als das Volleinspannmoment bzw. das reduzierte Volleinspannmoment sein.
Die Auflagerkraft der Decke wird immer in die Auflagermitte gesetzt und in der Auflagerfläche die resultierende Wirkungslinie bestimmt.
Berechnung der Ausmitte eines Stabilisierungskerns – ÖNORM EN 1996-1-1
Wenn die vertikal durchgehenden Aussteifungselemente der Tragstruktur nicht so biegesteif sind, dass sie in der maßgeblichen untersten Nachweisebene die in Formel (6-27) beschriebene Bedingung erfüllen, sind alle in den maßgebenden Richtungen angreifenden Horizontalkräfte dem Aussteifungskern zuzuordnen und aus dem Fußpunktsmoment dort ist die Ausmitte et zu berechnen. Dabei darf nach der linearen Elastizitätstheorie vorgegangen werden.
Die zusätzliche Ausmitte ec und der Vergrößerungsfaktor 𝜉 sind wie folgt definiert, wobei der Aussteifungskern schon wegen der erforderlichen Biegemomentenaufnahme im Fußpunkt praktisch immer eine Stahlbetonkonstruktion ist.
Die Einspannung kann vom Fundament oder von einem anderen Teil des Gebäudes, z. B. vom Keller, herrühren.
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