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Der (un)vergessene Stadtplaner: Curt Kühne (1882-1963)

Unser (virtueller) Interviewpartner ist Architekt Dipl.-Ing. Curt Kühne. Als Mensch, Architekt und Stadtbaudirektor hat er von 1915 bis 1938 und ab 1945 die Architektur in Linz/Oberösterreich wesentlich mitgeprägt.



Sehr geehrter Herr Kühne können Sie sich den Lesern der Zeilen kurz vorstellen?

Meine Kindheit und Jugend verbrachte ich im heutigen Thüringen. Vor meinem Studium wurde ich von 1900–1903 zum Bautechniker und Maurergeselle ausgebildet. Ab 1905 ging ich an die Technische Universität Dresden, wo führende Bauhistoriker, Planer und Architekten lehrten. Noch als Student arbeitete ich in den Stadtverwaltungen Charlottenburg und Plauen bei  Projekten mit. Von 1915 bis zur politisch motivierten Pensionierung 1938 war ich in Linz Stadtbauinspektor und schuf mit ein Klima, dass international Architekten anzog. Bei der Stadt begann ich erneut 1945, diesmal mit den Wiederaufbauplanungen.


Foto: Heimo Pertlwieser/Stadtplanung Linz
Luftaufnahme in diesem Bereich

Was war Ihre Motivation sich in Linz zu bewerben?
Es war die Herausforderung sich mit den Menschen und den für sieso wichtigen Räumen einer Stadt, wie der stark wachsenden Linz Landeshauptstadt Linz, auseinander zu setzten.
Wenn man sich mit den Entwicklungsfragen einer Stadt beschäftigt, so ist die Betrachtungsweise eine vielfältige. Betrachtet man die Vergangenheit, so hat man es mit der Umgebung von bereits Bestehendem zu tun, blickt man auf die Gegenwart, so erscheint das Bauprogramm mit begrenzten Erfordernissen in den meisten Fällen bei finanztechnischer Rahmengebundenheit erstellbar, schaut man in die Zukunft, so wird man sich nicht an feststehende Gegebenheiten halten können.“1

[1] Soweit nicht anders ausgewiesen stammen die Zitate aus Curt Kühne, Entwicklungsfragen der Landeshauptstadt Linz; in: Erwin Stein (Hg.): Das Buch der Stadt Linz, Die Städte Deutsch Österreichs Bd. 1 ; Berlin 1927.


© Bauten der Stadt Linz

Kleinwohnungsbauten Franckstraße

Sie haben in Linz viel Bleibendes hinterlassen. Waren für Sie die „Repräsentationsbauten“ von größerer Bedeutung oder gab es andere Schwerpunkte im Blickwinkel ihrer Betrachtung?
Noch ist aber der Wohnungsbau die vordringlichste Bauaufgabe, seien es nun Flachbauten oder Hochhäuser. Erfreulicherweise sprechen die neuentstandenen Wohnungsbauten eine andere Formensprache als die der nüchternen Neustadt von Linz. Nicht nur das einzelne Bauelement soll einen guten Eindruck hervorbringen, sondern die ganze Straßenfront harmonisch durchgebildet sein, man soll die ordnende Hand spüren und dann unter „Stil“ die Einheitlichkeit und Gleichartigkeit, die sich aus dem Walten einheitlicher und gleichartiger Grundkräfte und Grundgesetzte den Werten der Kunst aufprägt, verstehen.

Vor kurzer Zeit haben wir uns einige Bauten von Ihnen angesehen. Nehmen wir beispielsweise jenen im Frankviertel. Was wurde dort geplant und gebaut? Hat sich aus Ihrem Tun ein sogenanntes „Leitmotiv“ entwickelt?
In Linz galt es trotz schwierigster Rahmenbedingungen eine große Wohnungsnot zu lindern. Ab 1918 legte die nun sozialdemokratische Stadtregierung einen Schwerpunkt auf die Stadtplanung und auf den Bau von (Klein-)Wohnungen. Besonders das Franckviertel wurde als Siedlung für Arbeiter entwickelt. Hier wie bei anderen Projekten suchten und fanden wir Architekten neue Gestaltungsweisen: „Die Lösung der modernen Aufgabe soll aus den Prämissen, wie sie allein die Gegenwart gibt, frei herausentwickelt werden. Damit kommt der Wille zum Ausdruck, ganz unbeeinflusst von übernommenen Traditionen künstlerisch zu gestalten, sich also loszumachen von den historischen Stilformen.

Welche Rahmenbedingungen bedarf es seitens der Politik oder der Bauträger?
Es wird dabei nicht gedacht an politische, wichtige Begebenheiten mit allen ihren Weiterungen, sondern vielmehr an das bauliche Gesicht der Stadt [...].“ Die Situation stellt sich heute in vielen Bereichen anders dar. Dennoch glaube ich, dass meine Feststellung über das Baugesetz für den heutigen kommunalen Bau als Ganzes noch Bestand hat: „Ohne Zwangsjacke zu sein, muss das Baugesetz den Eigennutz einzelner ausschalten, muss vielmehr der Allgemeinheit und dem Gesamtinteresse dienen, muss aber auch weitausschaueden und großzügig mit dem Fortschritt der Technik gehen, um wirtschaftlich die Aufgaben einwandfrei zu lösen.

 


© Bauten der Stadt Linz, Kleinwohnungsbauten Franckstraße


 Kleinwohnungsbauten Franckstraße

Kehren wir zum Thema Wohnungsbau zurück. Was machte den vom Stadtbauamt geplanten und umgesetzten sozialen Wohnbau so einzigartig?
Ausgehend von der Gartenstadtidee entwickelten sich Wohnbauten mit enormen Qualitäten: Vom Typus her kleine, gleichartig gestaltete Mehrfamilienhäuser wie in der Sintstraße, oder größere jedoch aufgelockert positionierte Wohnhäuser, wie in der Franckstraße. Auf großzügigen Grünflächen situiert beherbergten sie Menschen, die unterprivilegiert waren. „An uns, als den Trägern einer neuen Zeit, ist es, den sozialen Gedanken machtgewaltig, sinnfällig zum Ausdruck zu bringen. Dies ist eine Hauptaufgabe des Städtebaus.“ Wilfried Posch hat dies mit der Feststellung „Die Stadt konnte als Eigentümer des Bodens der Anlage das geben, was damals keine unmittelbaren Kosten verursachte: Grund und Boden und damit Luft, Licht und Sonne.2 beschrieben.

[2] Wilfried Posch, Curt Kühne (1882–1963), Sein Wirken als Architekt und Stadtbaudirektor der Stadt Linz; Denkmalpflege in Oberösterreich 2006/2007, 92.

Der Baustoff Ziegel wird vielfach mit Dauerhaftigkeit und Langlebigkeit assoziiert. Verglichen mit heute standen Ihnen nur einfache Mittel zur Verfügung. Wie wurde mit diesen Materialien umgegangen?
Aus Schalung und Pappe verkleidete Holzbaracken wurden wo möglich durch massivere Gebäude ersetzt. „Die Kellerdecke wurde massiv gehalten, die Erdgeschoßdecke als Tramdecke mit Einschub und Ausfüllung ausgebildet, währen man die Außenmauern mit deutschem Ziegelformat 30 cm mit 5 cm Hohlraum herstellte und abschließenden Betonkränzen in Fußboden- und Deckenhöhe des Erdgeschosses.3 Das Ende des 19. Jahrhunderts und der Beginn des 20. Jahrhunderts wurden zum „Zeitalter des Ziegels“, wobei der Ziegel auch als Gestaltungselement diente. Zusammen mit verschieden gestaltetem Verputz grenzten Ziegelflächen einzelne Segmente wie Stiegenhäuser ab und dienten so der Funktionalität des Gebäudes. Ästhetische Kriterien der Ensemblegestaltung sollten mit den Wohn- und Lebensstandard der Bewohner heben.

[3] Stadtbauamt Linz: Bauten der Stadt Linz a. d. D, Ausgeführt vom Stadtbauamt seit dem Jahre 1920; München 1932, o. S.



Wie sehen Sie die Zukunft der Stadt Linz?
Das moderne Zeitalter steht vor uns, die Revolution ist sein Kennzeichen; neue Werkzeuge, Riesenmaschinen, damit Umwälzungen in den Methoden der Arbeit, neue, vom alten Zwang befreite Gestaltungsformen, neue Bauverfahren, neue Baukunst, aufgebaut auf Rhythmus und Proportionen, die alten Baustile ablehnend, zeigen uns den Weg. Wir werden uns mühen, das Ziel zu erreichen: Das moderne „Großlinz“[...] Dafür brauchen wir eine „Formensprache [...], die wir ganz verstehen, die unserer Zeit angehört [...].

Haben Sie Ihre Bewerbung als Baudirektor der Stadt Linz je bereut?
Trotz sehr bewegter Zeit, mit geringfügigen Unterbrechungen und einem 12maligem Wechsel der Bürgermeister, war es für mich eine spannende aber auch sehr herausfordernde Aufgabe für die Menschen in Linz arbeiten zu dürfen. Nein, bereut habe ich es nicht!

Vielen Dank vom Verband Österreichischer Ziegelwerke an Dr.in Cathrin Hermann und Dipl.-Ing. Johannes Stitz vom Magistrat der Landeshauptstadt für die Unterstützung bei dem Interview.