Als Sonderbereich innerhalb des thermischen Komforts kommt der Vermeidung sommerlicher Überwärmung besondere Bedeutung zu. Im warmgemäßigten Klima Österreichs ist es mit entsprechenden baulichen Maßnahmen wie Gestaltung der Gebäudeform (z. B. Dachüberstand, Balkone), Gestaltung der Befensterung (z. B. Leibungstiefe, Fenstergröße), Einsatz wirksamen Sonnenschutzes (z. B. Jalousien, Raffstore, Fensterläden, Markisen), Einsatz thermischer Speichermassen sowie geeigneten Lüftungsstrategien jedenfalls möglich, zumindest in Wohngebäuden ein komfortables Innenraumklima auch ohne technische Klimatisierung zu erreichen.
Für den Nachweis ausreichender planerischer Vorkehrungen zur Vermeidung sommerlicher Überwärmung bietet die ÖNORM B 8110-3 für Gebäude ohne mechanische Kühlung, adäquate Berechnungsverfahren an. Die Einhaltung dieser Norm, also die Vermeidung sommerlicher Überwärmung ohne mechanische Kühlung ist als Anforderung an den sommerlichen Wärmeschutz für Wohngebäude in der OIB RL 6 verpflichtend vorgeschrieben.
Das Berechnungsverfahren nach ÖNORM B 8110-3 beschreibt die Ermittlung des Tagesverlaufes der Empfindungstemperatur eines Raumes aus dem Wohnungsverband unter normgerechten Randbedingungen wie Klimaannahmen, innerer Lasten und Lüftungsmöglichkeiten. Unter bestimmten Voraussetzungen wird auch die Anwendung eines vereinfachten Nachweisverfahrens zugelassen, welches in der Ermittlung der immissionsflächen-bezogenen speicherwirksamen Massen des Raumes und ihrer Gegenüberstellung mit dem verfügbaren immissionsflächenbezogenen stündlichen Luftvolumenstrom besteht.
Definition thermischer Sommertauglichkeit
Nach ÖNORM B 8110-3 wird die sommerliche Überwärmung eines Raumes als vermieden betrachtet, wenn die operative Temperatur im untersuchten Raum unter normgerechten Klimaannahmen während einer Hitzeperiode, unter Berücksichtigung normgerechter innerer Lasten gemäß den realen Lüftungsmöglichkeiten die folgenden Grenzen unterschreitet:
- In Haupträumen darf die operative Temperatur den Wert von 27 °C nicht überschreiten. Für Schlaf- und Ruheräume darf diese Grenztemperatur zwischen 22:00 und 06:00 Uhr außerdem nicht den Wert von 25 °C überschreiten.
- Für Nebenräume wird die Sommertauglichkeit als gegeben betrachtet, wenn ausreichende Lüftungs- und/oder Beschattungsmöglichkeiten gegeben sind. Das gilt als vorliegend, wenn die operative Temperatur des Nebenraums kleiner gleich dem Tagesmaximum der definierten Außentemperatur, erhöht um 2,0 K, ist.
Als operative Temperatur wird dabei die gleichmäßige Temperatur eines imaginären schwarzen Raumes verstanden, in dem eine Person die gleiche Wärmemenge durch Strahlung und Konvektion austauschen würde wie in der bestehenden nicht gleichmäßigen Umgebung. Die operative Temperatur wird in der Fachliteratur häufig in erster Näherung als arithmetischer Mittelwert der Raumlufttemperatur und der mittleren Oberflächentemperatur berechnet.
Ermittlung des Tagesverlaufes der Empfindungstemperatur
Zur Durchführung des Sommertauglichkeitsnachweises wird in diesem Verfahren der Tagesverlauf der Empfindungstemperatur für periodisch eingeschwungene Bedingungen mit der Periodenlänge von einem Tag berechnet. Es wird also das thermische Verhalten eines Raumes während einer definierten hochsommerlichen Hitzeperiode untersucht.
Außenklimabedingungen
Der Außentemperaturverlauf wird als normativ festgelegte Tagesschwingung rund um jenen Tagesmittelwert der Außenlufttemperatur angesetzt, der am Gebäudestandort im langjährigen Schnitt an nicht mehr als 130 Tagen in 10 Jahren überschritten wird. Für den Siedlungsraum Wien liegt dieser Wert bei 23 °C. Die anzusetzende Tagesschwingung ist laut ÖNORM B 8110-3 zu berücksichtigen, wobei diese annähernd einer Sinusschwingung von ±7 K mit einer rund vierstündigen Zeitversetzung zur Uhrzeit entspricht. Bezüglich der Sonneneinstrahlung ist der Strahlungseintrag an einem unbewölkten 15. Juli anzusetzen, für dessen Berechnung der Formelapparat in der ÖNORM B 8110-3 vollständig zur Verfügung gestellt wird.
Raumnutzungsbedingungen
Innere Lasten sind in Form stündlicher, nutzflächenbezogener Wärmelasten zu berücksichtigen. Für fünf unterschiedliche Raumnutzungen bietet ÖNORM B 8110-3 Festwerte. Diese sind als Mindestwerte zu verwenden, sofern sich nicht aus der spezifischen Raumnutzung höhere Werte ergeben.
Auch der Luftwechsel, sowohl jener aus Fensterlüftung als auch aus mechanischer Lüftung, ist laut ÖNORM B 8110-3 in Stundenschritten zu ermitteln. Es wird dafür auch ein Formelapparat zur Berechnung des anzusetzenden Luftvolumenstroms aufgrund von Fensteröffnung angegeben.
Seitens der Raumnutzungsbedingungen ist auch der Einsatz eines allfällig vorhandenen beweglichen Sonnenschutzes zu berücksichtigen. ÖNORM B 8110-3 gibt dafür umfangreiche Hilfestellungen, inklusive der Aspekte der Berücksichtigung der Gebrauchstauglichkeitswindgeschwindigkeit des Sonnenschutzes und anderes mehr.
Ergebnisdarstellung
ÖNORM B 8110-3 teilt die Sommertauglichkeit in fünf Kategorien ein:
A+ | sehr gut sommertauglich |
A | gut sommertauglich |
B | sommertauglich |
C | bedingt sommertauglich |
D | nicht sommertauglich |
Diese unterscheiden sich in den unterschiedlich angesetzten Außentemperaturverläufen. In der Kategorie B (= sommertauglich) wird die Innenraumtemperatur bei der genormten Außentemperatur eingehalten. Zur Erreichung der Kategorie A wird die genormte Außentemperatur um 1,5 K, zur Erreichung der Kategorie A+ um 3 K angehoben. Bei der Berechnung mittels des vereinfachten Verfahrens ist nur eine Erreichung der Kategorie B möglich.
Vereinfachtes Nachweisverfahren der ÖNORM B 8110-3
Als Alternative zum oben beschriebenen Verfahren der Ermittlung des Tagesverlaufes der Empfindungstemperatur wird in ÖNORM B 8110-3 auch ein vereinfachtes Nachweisverfahren angeboten, auf Basis der Ermittlung der immissionsflächenbezogenen speicherwirksamen Massen des Raumes und ihrer Gegenüberstellung mit dem verfügbaren immissionsflächenbezogenen stündlichen Luftvolumenstrom. Die Zulässigkeit der Anwendung dieses vereinfachten Verfahrens ist auf Wohngebäude beschränkt und ist außerdem nur an Standorten zulässig, deren Auslegungstagesmitteltemperatur höchstens 23,0 °C beträgt, und ist außerdem nur dann zulässig, wenn sämtliche Fenster des als kritisch eingestuften Einzelraumes nachts offen gehalten werden können.
Physikalisch basiert dieses vereinfachte Verfahren auf der täglichen Wärmebilanz eines Raumes, bestehend aus der Gegenüberstellung der täglichen Wärmegewinne aus Solarstrahlung und der täglichen Wärmeverluste aus Lüftung. Amplitudendämpfende Wirkung der thermischen Speichermassen wird in diesem Verfahren überschlägig berücksichtigt. Die Beiträge von inneren Lasten und von Entwärmungsvorgängen durch Wärmetransmission werden in diesem Verfahren nicht explizit berücksichtigt.
Berechnung der Immissionsflächen
Die solaren Wärmeeinträge werden in diesem Verfahren berechnet und dargestellt als „Immissionsflächen“, zu interpretieren als fiktive, unverglaste und unbeschattete, vertikal südorientierte Flächen, durch welche dieselben solaren Wärmeeinträge auftreten, wie durch die Summe aller realen Fensterflächen unter Berücksichtigung des GesamtenergieDurchlassgrads der Verglasung, des Abminderungsfaktors einer Abschattungseinrichtung, der tatsächlichen und Neigung sowie Verschattung durch Umgebung.
Berechnung des immissionsflächenbezogenen stündlichen Luftvolumenstroms
Der verfügbare immissionsflächenbezogene stündliche Luftvolumenstrom wird errechnet aus vereinfachten Annahmen der Luftwechselzahl in Räumen und Raumverbänden in Abhängigkeit von der Lage der Lüftungsöffnungen (in ein, zwei oder mehreren Fassaden bzw. Dachebenen) bei vollständiger Öffnung unter Sommerbedingungen. Wieder ist darauf hinzuweisen, dass das vereinfachte Verfahren nur dann angewandt werden darf, wenn die vollständige nächtliche Öffnung der Lüftungsöffnungen auch tatsächlich erfolgen kann.
Ermittlung der speicherwirksamen Masse
Die speicherwirksame Masse ist zu errechnen als die Summe der flächenbezogenen wirksamen Wärmespeicherkapazitäten Χ, berechnet nach ÖNORM EN ISO 13786, bezogen auf die Referenz-Wärmekapazität von Normalbeton von c0 = 1046,7 J/(kg·K). Berücksichtigt werden kann auch die Speicherkapazität von Einrichtung. Es gilt:
Nachweisführung mittels der immissionsflächenbezogenen speicherwirksamen Masse
Aus den obigen Berechnungen wird die immissionsflächenbezogene speicherwirksame Masse ermittelt, als der Quotient aus der speicherwirksamen Masse und der Immissionsfläche des zu untersuchenden Raumes. Mittels Tabelle 4-02 wird dann kontrolliert, ob die verfügbare immissionsflächenbezogene speicherwirksame Masse den mindesterforderlichen Wert übersteigt, welcher in Abhängigkeit vom immissionsflächenbezogenen stündlichen Luftvolumenstrom angegeben wird. Wird diese Bedingung erfüllt, kann der Raum als sommertauglich im Sinn der Kategorie B angesehen werden. Eine Differenzierung in andere Kategorien ist mit dem vereinfachten Verfahren nicht möglich.
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