Prof. ETH Adrian Meyer: "Der Backstein will ein Bogen sein …"
Am Institut für Architektur und Entwerfen der Technischen Universität Wien, unter der Leitung von Univ. Prof. Arch. Dipl.-Ing. András Pálffy, hat der Verband Österreichischer Ziegelwerke eine Gastprofessur finanziert. Gastprofessor in Wien und Interviewpartner ist Prof. ETH Adrian Meyer, ein begnadeter Lehrer, didaktischer Könner und Vermittler von Architekturwissen an die Studenten.
Univ. Prof. András Pálffy hat das Kunststück zustande gebracht, neben seinem Insti-tut an der Universität Wien auch noch die Universität der Künste in Berlin, das Uni-versity College Dublin, die University of Strathclyde Glasgow, die Faculty of Architecture Naples "Federico II" und die Bauhaus Universität Weimar zum Projekt "Fondazione Jodice" ins Boot zu holen.
von links nach rechts: Univ. Prof. Dipl. -Ing. Andràs Pàlffy (TU Wien), Prof. ETH Adrian Meyer (Gastprofessor + Interviewpartner), Prof. em Dr. sc. Dipl. Arch ETH Martin Steinmann (Gastkritiker)
Mimmo Jodice ist ein zeitgenössischer Fotograf aus Neapel in Italien. Zu Beginn seiner Laufbahn fertigte Jodice zahlreiche Aufnahmen von Künstlern, zum Beispiel Andy Warhol oder Joseph Beuys, an, konzentrierte sich später aber zunehmend auf Landschaftsfotografie und unbelebte Szenerien. Auf diesem Gebiet entwickelte sich Jodice zu einem der bedeutendsten Fotografen Italiens.
Frage:
Worum geht es bei der Gastprofessur "Fondazione Jodice"? Wie würden Sie den "Kern" beschreiben?
Meyer:
András Pálffy hat mich eingeladen, eingebettet in seiner Professur eine Gruppe von Studenten auf meine Art und Weise in das Thema "Fondazione Jodice" einzuführen. Mein Kollege und Freund Pálffy hat mir völlig freie Hand gelassen und mir bedeutet ich müsse als Gast an der TU Wien nichts mehr müssen, wie in meiner früheren Professur an der ETH Zürich. Das habe ich beherzigt und entsprechend gehandelt. Neapel - Jodice, das hat mich total fasziniert. Neapel entspricht in seiner, nach römischen Prinzipien angelegten Stadtstruktur und der damit verbundenen Enge, einem beinahe islamischen Stadtplan. Mimmo Jodice gehört in der Kunst der Photographie zum Neorealismus und die Melancholie seiner expressiven Schwarzweißbilder ist sehr "neapolitanisch". Neapel voller opum cementium, Neapel voller Bögen. Das war der Ausgangspunkt für die Semesteraufgabe bei meiner Studentengruppe. Es musste alles in Ziegelsteinen entworfen werden und die Haupträume mussten gewölbt sein. Frei nach Louis Kahn: "Der Backstein will ein Bogen sein ..."
Frage:
Welchen Umfang hat die Gastprofessur angenommen?
Meyer:
Ich habe diese Gastprofessur zwar ernst genommen, aber mit leichter Hand geführt. Die Betreuung vor Ort übernahm in verdankenswerter Weise Frau Univ. Ass. Arch. Dr. Inge Andritz. Wir kennen uns über geraume Zeit und sie ist sozusagen mein intellektuelles Gewissen und so hat sich das wunderbar ergänzt.
Die beteiligten Universitäten haben sich am Beginn für vier Tage in Neapel getroffen und ausgetauscht. Es waren etwa 250 Studierende von fünf Universitäten (Anm.: Aufzählung oben)
Frage:
Wer den Fleiß und die Arbeit der Studenten (besonders am Modell ersichtlich) mit-verfolgt hat, kann nur den Hut ziehen. Wie sind Sie mit den Arbeiten der Studenten zufrieden? Hätten Projekte eine konkrete Chance auf Umsetzung?
Meyer:
Der Anfang meiner Semestervorgabe war begleitet von Irritation. "Gewölbe sind doch nicht modern...!" und anderes war zu vernehmen. Wir haben über eine von den Studenten zu bestreitende Vorübung vieles über Backstein und Gewölbe in der Geschichte der Architektur erarbeitet. Mit zunehmender Dauer begann sich Leiden-schaft breitzumachen. Die Studierenden haben verstanden, dass sie mit Grundfra-gen von Stadt und Architektur in Berührung waren. Konstruktive Fragen und solche des Tragwerks nahmen überhand und definierten die langsam entstehenden For-men. Gewölbe in der römischen, der islamischen, der barocken Architektur bestimm-ten zunehmend die Debatte und plötzlich kam es zur Jetztzeit - Eladio Dieste oder Louis Kahn wurden debattiert. Unsere Vorgabe mit Modellen im Maßstab 1:33 zu arbeiten führte das Semester über in die physische Erfahrbarkeit von Eigenschaften des Ziegels, der Form, des Raums und der Lichtführung. Es entstanden einige wunderbare, allerdings nicht moderne, aber zeitgenössische Arbeiten. Ich war von der Leidenschaft der Studierenden sehr beeindruckt.
Frage:
Kennen Sie die Projekte der Studenten an den anderen Universitäten?
Meyer:
Ich kenne nur die Arbeiten, die bei András Pálffy zum selben Thema gemacht wur-den. Der Umgang dort mit räumlicher Vielfalt in allerengsten Verhältnissen Neapels ist großartig. Ich kenne nur die Professoren der weiteren, beteiligten Unis. Abge-stützt auf deren Kompetenz und Reputation zweifle ich nicht im Geringsten an der Qualität der Projekte.
Frage:
Das große Finale mit Ausstellung und Besprechung einer höchstkarätigen Jury ne-ben Ihnen ist dann in Neapel. Wer wird dabei sein? Was wird dort geschehen?
Meyer:
Ich denke, man wählt in Neapel die Arbeiten aus, die im Katalog publiziert werden und allenfalls an einer weiteren Ausstellung teilnehmen sollen. Es geht bei solchen Semesterarbeiten nie um die Konkretion einer tatsächlichen Umsetzung sondern eher um den Anschub einer Debatte nach innen und nach außen. Ich fasse das ganze Projekt "Fondazione Jodice" auch nicht als Wettbewerb auf, sondern als Ver-gleich unterschiedlicher Positionen und Haltungen. Die Stadt bleibt das große Gan-ze, das einzelne Projekt ist Reflektion auf die Stadt. Weiterführen der Lektüre des vorhandenen mit zeitgemäßen Mitteln oder Destabilisierung gesicherter Konventio-nen. Das Feld der theoretischen Basis ist weit und das macht die Sache nicht einfacher.
Fragen:
Sie haben auch in Ihrem Büro in der Schweiz viel mit Ziegel gebaut. Was ist die Faszination des Baustoffs Ziegel sofern es eine solche gibt?
Welche Vorteile und Eigenschaften geben dem Ziegel die Berechtigung in der mo-dernen Architektur?
Meyer:
Der Ziegelstein ist ein wunderbarer, kleiner Maßstabszwang. Er definiert die Eigen-schaften des Materials. Der Mörtel, die Fuge sind wie die Orthographie, sie gliedern die Sprache des Steins. Der Ziegelstein repräsentiert die Schwerkraft von Architektur - im richtigen Verbund verwendet isoliert er und reguliert den Feuchtehaushalt. Der Ziegelstein gehört zu den Urmaterialien der Baukunst und er vermittelt das Gebaute zwischen Erde und Himmel. Erst die Poesie des Tragwerks, auch im Sinne von Verbundkonstruktionen offenbart die Kraft und die Prägnanz eines Materials, wie der des Backsteins. Kahn und Dieste, Lewerentz und Jensen-Klingt haben uns gezeigt, wie zeitlos dieses Material immer war und sein wird.
Vielen Dank für das interessante Gespräch mit dem Verband Österreichischer Ziegelwerke!