Michael Lingenhöle: "Vom Nutzen eines Stallgebäudes"
An einem geschichtsträchtigen Ort in Güssing, Teil der noch immer aktiven Franziskanerklosteranlage, angrenzend an die alte Ziegel-Stadtmauer, stehen zwei Stallgebäude aus dem Mittelalter bzw. um 1648 verändert. Die Aufgabe war, neue Nutzungen in diesem Bereich unterzubringen: Jugendzentrum, Kirchenbeitragsstelle und öffentliche WC-Anlage. Interviewpartner ist der Architekt, der sich der Aufgabe gestellt hat – Arch. DI Michael Lingenhöle.
Der Entwurf eines anderen Planers sah einen vollständigen Abriss des Stallgebäu-des vor. Als Sie zum Projekt kamen war die Zeit knapp, wieso haben Sie sich trotz-dem für den Erhalt der Substanz entschieden?
Lingenhöle:
Sie haben den Mehrwert gesehen. Wie sind Sie an die Planung der drei Gebäude-funktionen herangegangen?
Frage:
Sie haben den Mehrwert gesehen. Wie sind Sie an die Planung der drei Gebäude-funktionen herangegangen?
Lingenhöle:
Uns war von vornherein klar, dass ein Umbau mit Sanierung und Zubau bei einem denkmalgeschützten Gebäudekomplex immer einen höheren Planungsaufwand bedeutet, aber wir scheuen die Arbeit nicht. Wir machen so etwas nur, wenn wir wie bei diesem Projekt auch mit der Ausschreibung und der örtlichen Bauaufsicht beauftragt werden, um die ganze Komplexität rüberzubringen und keine Informationsverluste zu riskieren. Nur das Gebaute ist Architektur. Für die Umsetzung eines solchen Bauvorhabens ist immer auch ein respektvoller intensiver Kontakt mit den ausführenden Firmen notwendig; gemeinsam wollten wir eine „Symphonie“ für die Bauherren darbringen. Dazu braucht es ein gutes Orchester und irgendjemand muss eben die Dirigentenfunktion mit der Verantwortung übernehmen...
Entwerfen tun wir in unserer eigenen Art und Weise: Wir zeichnen keinen Strich, bis wir zum Bersten viel Informationen im Kopf gesammelt haben (um nicht voreilig an die eigenen vielleicht falschen Ideen gebunden zu sein), erst dann lassen wir „die Pferde los“ und den Kopf arbeiten und zeichnen das Ganze sehr schnell auf, wobei die kniffligen Details dabei auch schon überlegt sind (z.B. Glasdachanschluss an kalkverputzte Mauer ohne Profile und dadurch mit durchfließender Transparenz von Innen und außen, etc...). Es gibt bei uns keine Entwürfe wo nicht die wichtigsten Details schon überlegt sind, denn die Architektur ist wie der menschliche Körper sowohl in der Erscheinung als Ganzes als auch in der Ausformung des kleinsten Fingerglieds wichtig - und das nebeneinander und nicht aufgesetzt.
Drei Funktionen haben die Aufgabe nicht leichter aber spannender gemacht. Wir wollten in erster Priorität die Jugendeinrichtungen über den Klosterhof zugänglich machen, um freie Kontakte zwischen Jugend und Kloster zu ermöglichen aber auch mit einer Hintertür durch die Stadtmauer zum Garten. Die öffentliche WC-Anlage als Teil des Hauptplatzes zu formulieren und die Kirchenbeitragsstelle über den Hauptplatz und nicht über das Kloster zu erschließen, war uns ebenso ein Anliegen.
Frage:
Wie wichtig ist der Bauherr bzw. es waren ja drei Bauherren in einer solchen Situati-on?
Lingenhöle:
Der Bauherr ist die Quelle. Wir nehmen die funktionellen Anforderungen unserer Bauherren ernst. Unsere Aufgabe ist es, nicht eine Hülle zu schaffen für diese Funktionen sondern zuerst die Funktionen zu verknüpfen und - wie bei Güssing - neue sinnvolle Funktionssynergien dem Bauherrn vorzuschlagen. Wir haben alle drei Bauherren angehört (Franziskanerkloster, Stadtgemeinde Güssing und die Diözese Eisenstadt). Pater Raphael hat als Bauherrenvertreter eine musterhaft vorbildliche Arbeit geleistet. Er hat es verstanden die anderen Mitbauherren neutral und gleichwertig zu vertreten und in den entscheidenden Situationen in die Diskussion bei Baubesprechungen miteingebunden und selbst reden lassen.
Wir haben von den Bauherren sehr viel Vertrauen abverlangt. Uns hätte es erstaunt, wenn es keine Zweifel gegeben hätte.
Frage:
Welche Rolle hat der Baustoff Ziegel, der nun vor allem gut sichtbar auf dem Dach aber auch verputzt in der Wand verbaut ist, bei der Planung und Projektumsetzung gespielt?
Lingenhöle:
Wie bei den meisten historischen Gebäuden ist auch in Güssing Ziegel- und Mischmauerwerk nebst Holz das meist verwendete Material. Es war für uns logisch, sich mit dem Bestand und somit mit dem Baustoff Ziegel auseinanderzusetzen und in der „Sprache des Ziegel“ Architektur zu schaffen. Dabei versuchten wir auch Neues (Wandöffnungen im Ziegelmauerwerk mit Schrägen im Grundriss zur Verstärkung der Massivitätswahrnehmung, Fensterbänke aus alten wiederverwendeten hydrophobierten Dachziegeln, etc.).
Was uns zudem bei historischen Gebäuden wichtig ist: Der Baustoff Ziegel ist authentisch, d.h. die Umbauten und Sanierungen im historischen Kontext sollen nicht allein historisch wirken sondern auch historisch materialgerecht gebaut sein. So haben wir nebst dem Baustoff Ziegel auch den entsprechenden Verputz in Kalk ausführen lassen - auch bei neu errichtetem Ziegelmauerwerk – und neue Kastenstockfenster (anstatt der alten Verbundfenster) eingeplant.
Die Dachdeckung in Ziegel verstärkt die Ensemblewirkung der gesamten Klosteranlage und ist auch vom Burghügel betrachtet ein Beitrag zur Dachlandschaftsberuhigung in Güssing.
Frage:
Würden Sie den Ziegel als der heutigen Bauzeit angepasst betrachten? Oder hat er im Konzert der Baustoffe an „Tonstimme“ verloren?
Lingenhöle:
Als Vorarlberger bin ich von einer Holzbautradition geprägt. Holz hat den Sprung in die Neuzeit geschafft. Ziegel hat ebenso sein Potential, vor allem im historischen Kontext. Derzeit bin ich als Partner tätig bei einem Forschungsprojekt, das die Möglichkeiten um die energetische Verbesserung von denkmalgeschützten Gebäuden auslotet. Darin untersuchen und messen wir unter anderem das Verhalten des massiven dicken Mauerwerkes bei Einfügung einer Bauteilheizung in Form eines dünnen Kupfer- oder Verbundrohres auf Fußbodenniveau in der Störzone. Nebst der Feuchtigkeitssenkung bei erdanliegenden Wänden (die auch den Wärmedurchlasswiderstand erhöht) erfahren wir den Vorteil des massiven Ziegelmauerwerks als Wärmespeicher für Niedertemperaturheizung ideal für erneuerbare Energien, was ja in Zukunft den Ton angeben wird. Dabei kann schon im Spätsommer „überschüssige“ Energie in das Gebäude transportiert werden was bedeutet, dass im Winter somit umso weniger einzubringen ist.
Baustoffe die homogen sind und keine weiteren fehleranfälligen Hilfsmittel wie Dampfbremsen, Sperren und Folien benötigen, sind immer von Vorteil in Anbetracht auf Langlebigkeit und Nachhaltigkeit. Und da ist Ziegel sehr gut im Rennen.
Fragen:
Haben Sie Rückmeldung Ihrer Bauherrn und auch von der Bevölkerung bekommen?
Welche Vorteile und Eigenschaften geben dem Ziegel die Berechtigung in der mo-dernen Architektur?
Lingenhöle:
Die interessanteste Rückmeldung aus der Bevölkerung war von einer älteren Dame, die mich auf dem Hauptplatz in Güssing beim Mittagessen ansprach: „Warum muss die Kirchenbeitragstelle so schön sein?“. Sie hat in einer Art und Weise gefragt wie jemand der wirklich eine Antwort auf seine Frage haben will. „Gnädige Frau, ich habe das Burgenländische Baugesetz von vorne und von hinten durchgelesen, aber nirgendwo stand, du sollst „schiach“ bauen.“ Mit dieser Antwort hat sie sich zufrieden gegeben.
Längere Zeit nach der Fertigstellung hab ich mit einem neuen Bauherrn das Gebäude besichtigt. Dieser hat beim Güssinger Bauherrn und den Nutzern nach der Funktionstüchtigkeit und nach dem Gefallen am Gebäude gefragt und hat durchwegs positive Rückmeldungen erhalten. Natürlich ist nichts perfekt und man kann auch noch vieles besser machen.
Vielen Dank für das interessante Gespräch mit dem Verband Österreichischer Ziegelwerke!