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Günter Wehinger: 10 Jahre Low Tech Passivhaus in Tirol

Interviewpartner ist Dipl.-Ing. Günter Wehinger, er ist seit 25 Jahren selbstständiger Planer, vorwiegend im Bereich „Niedrig(st)energiegebäude“ und „energetische Sanierung“. Zusätzlich übt er auch eine Vortragstätigkeit am WIFI Tirol und BFI Innsbruck aus und ist Referent im Rahmen der Energieberaterausbildung von Energie Tirol und WIFI Tirol. Er ist allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für die Fachgebiete Sonnenenergienutzung und Niedrigenergiehäuser.
Die Fragen kreisen um ein Low Tech „Passivhaus“ in Jenbach, welches im Herbst 1997 fertig gestellt wurde. Die Energiekennzahl beträgt lt. Berechnung für die Tiroler Wohnbauförderung 31 kWh/m2EBF. In einer Forschungsarbeit (Messzeitraum 2 Jahre) über das thermisch-energetische Verhalten wurde in den Jahren vor 2000 ein tatsächlicher Heizwärmebedarf (ohne kontrollierte Wohnraumlüftung) von 6 kWh/m2EBF gemessen.

 

Ich bemühe einen Vergleich zum Kochen. Neben dem Rezept kommt es auch auf die Zutaten an. Aus welchen wesentlichen Zutaten besteht das „Passivhaus“ in Jen-bach?

Wehinger:
Rein von der technischen Seite betrachtet sind dies:

  • Eine kompakte Gebäudehülle, was natürlich auch kostengünstiges Bauen bedeutet, keine unnötigen Ecken und Kanten.
  • Eine möglichst hohe Sonnenenergienutzung (Passivgewinne) über die Fenster, es fand bezüglich der Orientierung der Fenster eine Optimierung statt, nicht zu viel und nicht zu wenig. Darum hat das Gebäude nach Norden (neben der Hangverbauung) keine Fenster und
  • bezüglich Außenhülle eine Qualität, ausgedrückt durch den U-Wert, die einerseits 100% Komfort bedeuten und andererseits noch in einem vernünftigen Kostenrahmen gelegen sind. Wärmebrücken sind nachweislich vermieden worden.



Welche Erfahrungen haben Sie, nach 10 Jahren, zum Haus?

Wehinger:
Im Zuge einer zweijährigen Messreihe mit Millionen von Daten, hat sich bewahrheitet bzw. ist sichergestellt worden, dass das angedachte Konzept zu 100% aufgegangen ist, unter anderem auch die 100% Garantie für alles was NICHT eingebaut wurde.
Die genaue Erfassung der Energieverbräuche wird weiterhin dokumentiert, es gibt nur wetterbedingte Abweichungen. Vielleicht was noch wichtig ist, dass keine kontrollierte Wohnraumlüftung vorhanden ist. Dies erfordert natürlich von den Bewohnern eine gewisse Lüftungsdisziplin, die allerdings leicht erlernbar ist, grundsätzlich ist es Stoßlüften und das dem Bedarf angepasst. Den Bedarf regelt das eigene Wohlbefinden. Das gesamte Haussystem mit der vorhandenen Baumasse ist sehr tolerant, so können auch im Winter Fenster im Schlafzimmer gekippt sein, auch bei tiefen Temperaturen unter null Grad.



Zum Messbericht der Wohnbauforschung, was sind die „Highlights“?

Wehinger:
Dass an sonnigen, kalten Wintertagen nicht die Außentemperatur entscheidend ist, sondern die Sonneneinstrahlung, es kann auch minus 15 Grad oder auch weniger in der Nacht haben. Wir haben dies gemessen, es muss auch dann nicht geheizt werden. Das Haus wird bis zum nächsten Tag über die solaren Gewinne über die Fenster beheizt, was natürlich bedeutet, dass die üblich angenommene Heizgrenze von 12 Grad nicht mehr zutrifft (bei diesem Ziegel-Massivhaus). Es gibt als nur noch eine Heizgrenze an strahlungsarmen Tagen und die liegt laut Messergebnissen zurückgerechnet bei 5 Grad über null mittlerer Tagestemperatur, wie gesagt ohne Sonneneinstrahlung. Wenn die Sonne scheint gibt es keine Heizgrenze.



Wir haben jetzt von mittlerer Außentemperatur, von Heizgrenze, … gesprochen. Womit wird denn geheizt?

Wehinger:
Geheizt wird je Wohneinheit mit einem kleinen Einsatzofen (automatische Abbrandregelung) mit keramischer Nachschaltung. Die Größe des Ofens entsteht durch die keramischen Nachschaltzüge, damit die Rauchgase möglichst optimal genützt werden (gemauert ist er außen aus Normalformatziegeln). Vielleicht ein Detail, die höchstgemessene Abgastemperatur am Kaminende betrug 70 Grad. Der Ofen speichert viel Energie und gibt diese über einen relativ langen Zeitraum ab.
Bei der Ziegelmassivbauweise (Masse des Gebäudes) ist ein langsamer Temperaturanstieg festzustellen, das belegen die Messaufzeichnungen.



Es heißt der Massivbau muss in den ersten Jahren austrocknen. War hier in den Messergebnissen zum Energieverbrauch eine starke Abweichung feststellbar?

Wehinger:
Überhaupt nicht. Das muss natürlich in den Ausschreibungen stehen, dass unnötiges Eindringen von Wasser während der Bauzeit zu vermeiden ist. Hier wurden z.B. die Mauerkronen fleißig abgedeckt, vor allem an den Wochenenden.



Man schreibt dem Ziegelbau auch eine große Toleranz zu, da er Feuchtigkeit (neben Wärme wie oben beantwortet) aufnehmen und zeitverzögert wieder abgeben kann. Ist das bei den Messungen feststellbar?

Wehinger:
Das kann man insofern bestätigen, weil nach dem Stoßlüften die relative Luftfeuchtigkeit rasch sinkt und sich dann wieder langsam dem ursprünglichen Niveau angleicht. In der Heizperiode ist die relative Luftfeuchte ca. 10% unter dem des Sommerwertes. Die Spreizung liegt bei 40% bis 50% im Winter und bei 50% bis 60% relative Luftfeuchte im Sommer.



War Ziegel das Material der ersten Wahl?

Wehinger:
Die Entscheidung für Massivbau war unmittelbar die Entscheidung für Ziegelbau. Leichtbau wurde nur kurz diskutiert. Die Hauptargumente für den Massivbau und Ziegelbau waren: Wenn dieses Ziel, die Zielrichtung Passivhaus (sehr geringer Energieverbrauch) erreicht werden sollte und nachdem wir im Inntal sehr wechselhaftes Klima haben, bewirkt natürlich die vorhandene Baumasse eine ausgleichende Wirkung – sowohl im Winter als auch im Sommer.



Ein Thema sind natürlich auch die Baukosten, wie hoch waren diese?

Wehinger:
Die waren damals ganz im üblichen Rahmen. Die Bauwerkskosten betrugen nach ÖNORM B 1801-1 ca. € 1.450,-/m2WNF (inkl. Erschwernisse durch Hangverbauung).


Wie kam die Entscheidung für Kastenfenster zustande?

Wehinger:
Die Entscheidung für die Kastenfenster ist aus mehreren Gründen gefallen. Vordergründig war der Schallschutz, weil das Objekt liegt über dem Talboden und das Inntal hat die Eisenbahn, die Autobahn, die Bundessstraße, Betriebe etc. . Der zweite Grund war, dass es zu diesem Zeitpunkt keine handelsüblichen Passivhausfenster gegeben hat, kein ortsansässiger Tischler und auch nicht die großen Hersteller hatten es im Programm. Und somit entstand über die Schallgründe die Idee, die Kastenfenster aus zwei handelsüblichen Standard-Wärmeschutzfenstern zusammenzubauen. Der mittlere U-Wert beträgt ca. 0,6 W/m2K.


Sie haben schon relativ lange Erfahrungen mit dem Ziegel-Zweischalenwandsystem (mit Kerndämmung und verputzter äußerer Ziegel-Vorsatzschale). Ist das ein langle-biges System?

Wehinger:
Ich bin davon überzeugt, 25 Jahre Erfahrung sprechen dafür. Nachdem die Wärmedämmung gut geschützt ist, die Wärmedämmung wird weder vom Wetter, noch mechanisch, noch sonst beansprucht. Auch die Feuchtigkeit ist kein Problem. Die Putzoberfläche ist ein herkömmlicher Dreilagenputz, bestehend aus Vorspritzer, KZM Grundputz und Edelputz als Oberflächenbeschichtung. Das Haus hat sicher noch mindestens 90 Jahre vor sich.

 

Der Verband Österreichischer Ziegelwerke dankt Herr Dipl.-Ing. Wehinger für das interessante Gespräch!