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Klaus Lindinger und Andreas Kleboth: Ziegel im Land der schwarzen Grafen

Ab dem 14. Jahrhundert brachte der Eisenhandel das Mostviertel zum Blühen. Das Eisen vom steirischen Erzberg wurde durch die Mostviertler Täler zur Donau transportiert. Im alpinen Mostviertel entstanden Schmieden, Hammerwerke und Holztriftanlagen. Eingebettet in diese Landschaft liegt Ybbsitz. Die „Schwarzen Grafen“ haben ihre Sprachwurzeln in einer Zeit, in der sie als Produzenten und Händler Ansehen und Wohlstand erworben hatten. Im Ortskern von Ybbsitz mit seinen viertausend Einwohnern und seinen 1100 Gebäuden befindet sich ein interessant renovierter Altbau mit angeschlossenem Neubau. Bauherr ist die Familie Aigner aus Ybbsitz. Die Planung erfolgte durch kleboth.lindinger.architecten, Arch. Dipl.-Ing. Andreas Kleboth ist der Interviewpartner des VÖZ.

 

Interviewpartner ist Herr Arch. Dipl.-Ing. Andreas Kleboth


Welche Rahmenbedingungen waren für das Projekt vorhanden?

Kleboth: Konzeption und Planung des Architekten sind ja nur dann wirksam, wenn sie auch umgesetzt werden. So auch hier in Ybbsitz. Andreas Aigner kam auf uns zu und wollte einen ‚modernen Riegel’ an das eben erworbene 400 Jahre alte Stadthaus anbauen. Im Zuge des Entwurfs war der Bauherr bereit einen ungewöhnlichen Weg bei der Form- und Materialgebung und bei der Nutzungskonzeption mitzutragen. Parallel wurde auch mit der Gemeinde Ybbsitz eng kooperiert, die räumliche und organisatorische Entwicklung des Ortszentrums von Ybbsitz überdacht und mitgeplant.


Bei dem Projekt fallen seine Buntheit und das Spiel mit Formen auf? Ist das ein Stil oder die Reaktion auf den Ort?

Kleboth: Vor allem letzteres. Nach unserem Verständnis entwickelt sich die Idee für ein Projekt aus seinem zukünftigen Umfeld heraus. Dabei kann man jedoch auch in Tradition ertrinken, wenn man einfach nur wiederholt, was ohnehin schon vorhanden ist. Innerhalb dieser Konturen müssen dann die Leistungen des Gebäudes mit Blickrichtung Zukunft optimiert werden. Für Ybbsitz bedeutet das: Formal kommt ein Walmdach zum Einsatz, weil diese Dachform dort charakteristisch ist und für enge Ortskerne optimal ist, da es am wenigsten Schatten wirft. Die Farben sorgen dann für den erforderlichen Akzent, für die Aussage „Das Zentrum lebt“ und für den Impuls, gerne hin zu gehen. Einzelne Details – etwa bei den Geländern oder bei der Überdachung der Freitreppe – sind Ausdruck von Lebendigkeit und Vielfalt, der auch in der Nutzung zum Ausdruck kommt. Also: Jeden Respekt vor der Geschichte und dem Zauber des Ortes, aber wenn wir Zentren beleben wollen, müssen wir dort lebensbejahend bauen.


Das Objekt steht seit 400 Jahren, welche Lebensdauer haben Sie eingeplant?

Kleboth: Natürlich wünscht man sich, ebenfalls für 400 Jahre zu bauen. Das wäre auch ganz im Sinn einer nachhaltigen Architektur – statt der Einweggebäude, die nach 20 Jahren bilanziell abgeschrieben, aber auch abgenutzt sind. Für das konkrete Projekt können wir nur sagen, dass wir im Rahmen der Vorgaben bestmögliche Lösungen realisiert und bestmögliche Materialien eingesetzt haben. Dazu gehören auch der rote Ziegel – den wir ursprünglich sogar sichtbar in den Außenmauern verbauen wollten – und die Terracotta-Böden in den Zugängen und Zufahrten.


Waren die zukünftigen Widmungen des Gebäudes vorgegeben oder konnten Sie Ihre Vorstellungen (von einer nachhaltigen) Stadtentwicklung einbringen?

Kleboth: In dem Gebäude sind ein Drogerie-Fachmarkt, ein Friseur-Salon und eine Café-Bar untergebracht. Weiters der Kindergarten, drei Eigentumswohnungen auf 3 Etagen, und auch die Bauherrenwohnung, die sich im Dach auf zwei Ebenen erstreckt. Dieser Nutzungsmix ist im Dialog mit dem Bauherren entstanden, übergeordnet gibt es für Ybbsitz das von uns vorgelegte Ortsentwicklungskonzept. Zwischen diesen beiden Polen, dem Wollen und Sollen der Stadt oder der Gemeinde und der Kostenrechnung des Bauherren bewegen sich dann auch die Planungen. Gerade in kleineren und mittleren Gemeinden ist es unserer Meinung nach entscheidend, sanfte und attraktive Nutzungen ins Zentrum zu bringen, die nicht auf maximale Frequenz und direkte Zufahrt mit dem Auto angewiesen sind. Das macht den Ortskern zum Wohnen attraktiv, gleichzeitig ist mit Friseur, Boutiquen und Cafe die wichtigste Infrastruktur gegeben. Integriert werden sollten auch Kindergärten, Schulen und Altenheime, so entsteht auch die gewünschte Durchmischung und Begegnung der Generationen.


Vielleicht eine freche Frage. Im Vorgespräch mit dem Bauherrn hat er seinerseits von einer gewissen „Eigenwilligkeit“ im Umgang gesprochen, Sturheit würde zu weit gehen. Bedarf die Realisierung im Stadtkern und der Umgang mit Bauherrn, Gemeinde, Denkmalamt … einer – nennen wir es – Eindringlichkeit oder eines gewissen Beharrungsvermögens?

Kleboth: Wir nehmen für uns in Anspruch, individuelle Lösungen zu erarbeiten, diese inhaltlich wie formal fertig zu denken und sie für den Nutzen des Bauherren zu optimieren. Zum anderen findet Architektur in der Öffentlichkeit statt – auch hier wollen wir den optimalen Nutzen, den Mehrwert für alle, der wiederum eine wesentliche Grundlage für den Erfolg und für die Rendite des Objekts ist. Wenn man all diese Parameter ausreizt, gelangt man zwangsläufig an oder über Grenzen, seien es die bisherigen Vorstellungen des Kunden oder die Vorschriften der Behörden. Anspruchsvolle Projekte argumentativ durchzutragen, ist natürlich aufwändiger als Mainstream von der Stange. Der Output ist aber auch ungleich höher: Zufriedenheit und Stolz des Kunden, Bauwerke, die zu Landmarks werden und nicht zuletzt der Spaß der Architekten. Unser Bauherr, Andreas Aigner ist mit dem Ergebnis unserer Planung offensichtlich zufrieden, denn gerade planen wir wieder ein neues Objekt für ihn.


Eines unserer Argumente für den Ziegelbau ist die leichte Aus- und Umbaubarkeit? Können Sie das für dieses Projekt bestätigen?

Kleboth: Zwei Eigenschaften des Ziegel schätzen wir am meisten: erstens die Haltbarkeit und bauphysikalische Problemlosigkeit und zweitens die Möglichkeit sehr einfach auch plastische und freie Formen herzustellen. Gerade diese letzte Möglichkeit stellt aus unserer Sicht ein Alleinstellungsmerkmal des Ziegels dar, bei allen anderen Materialien sind ‚nicht-rechteckige’ Formen mit großen Mehrkosten verbunden, beim Ziegel lassen sich diese vergleichsweise einfach umsetzen. Gute bauliche Strukturen passen für viele unterschiedliche Ansprüche, die Anforderung des einfachen Umbaus wird im Wohnbau meist überschätzt.


Nachhaltigkeit wird in unserer Zeit fast schon inflationär eingesetzt, es gibt „nachhaltigen“ Schulunterricht, „nachhaltige“ Bauweisen … viele Worte werden mit „nachhaltig“ höher gewichtet. Wie „nachhaltig“ muss Stadtentwicklung sein?

Kleboth: Zunächst zum Begriff: Unter „nachhaltig“ verstehe ich, wenn eine Maßnahme in der Zukunft optimal wirksam ist und langfristig Spuren hinterlässt, bei möglichst sparsamen Umgang mit allen Ressourcen (in der Stadtentwicklung vor allem der Ressource ‚Boden’). Grundsätzlich wäre Stadtentwicklung also per se nachhaltig. Der Druck von Legislaturperioden und Quartalsergebnissen schiebt jedoch die schnelle und vermeintlich clevere Lösung in den Vordergrund. Damit wird es rasch eng für die Nachhaltigkeit. Umgekehrt heißt das, nur wer nachhaltig nachdenkt, wird nachhaltige Ergebnisse bekommen. Stadtplanung ist nun einmal das Formen und Ermöglichen individueller Lebensentwürfe unter den Rahmenbedingungen der Gesellschaft, der Wirtschaft und Kultur – und das über mehrere Generationen hinweg.
Aktuell ist die Aufgabenstellung an die Stadtplanung besonders herausfordernd: Wie kann es uns gelingen, die Städte und Gemeinden attraktiv und lebendig zu erhalten, wie müssen wir sie weiterbauen, damit sie neben den immer größeren Shopping-Malls und auch neben den immer attraktiveren Städten wie Prag, Bratislava oder Ri-ga Identitäten bewahren oder entwickeln können. Insgesamt ist Stadtplanung mir Sicherheit eines der Kernthemen für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.

 

 

Der Verband Österreichischer Ziegelwerke dankt für das interessante Gespräch!