Dr. Robert Korab: Wohnhof Orasteig
Ausgehend vom Wettbewerbsziel „Kostengünstiges, innovatives, mitbestimmtes Bauen für Familien im Grünen“ wurde für den Bauteil 3 am Orasteig in Wien-Floridsdorf von raum & kommunikation ein Konzept für einen „Wohnhof“ entwickelt, das im Bauträgerwettbewerb den ersten Platz errang. Das folgende Interview wird mit Dr. Robert Korab, dem Gründer und Geschäftsführer von raum & kommunikation; Lehrbeauftragter für ökologisches Planen und Bauen; langjähriger Berater der Stadt Wien (Stadtplanung, Wohnbau, Umwelt); Mitglied der Jury Bauträgerwettbewerbe und des Grundstücksbeirats des Wohnfonds Wien; Mitglied des Expertenbeirats des Österreichischen Klima- und Energiefonds, geführt.
Beim Projekt Orasteig wird immer wieder der Begriff „Neue Siedlerbewegung“ verwendet. Was ist damit gemeint?
Um 1995 begann in Wien ein Nachdenkprozess, wie die „Stadtflucht“ der jungen Wohnbevölkerung ins Umland von Wien eingedämmt werden könnte. Ende 2004 wurde dann ein Expertenarbeitskreis ins Leben gerufen, der im Auftrag des Wiener Wohnbauressorts Grundlagen für Bauträgerwettbewerbe zum Thema „Junges Wohnen im Grünen“ ausarbeitete. Das Abschlusspapier formulierte folgende Zielsetzungen:
Leistbares Wohnen im Grünen in der Stadt
Wohnen primär für Haushalte mit Kindern
Innovation und Partizipation - Weiterentwicklung von Wohnbau-Typologien, Prozesshafte Projektbegleitung / MieterInnenmitbestimmung
Von „Neuer Siedlerbewegung“ war die Rede, weil an die historischen Erfolge der Siedlerbewegung am Anfang des 20. Jh. angeschlossen werden sollte, bei der Menschen in Wohnungsnot an der städtischen Peripherie Grünlandgebiete und Restflächen buchstäblich „in Besitz nahmen“ und darauf in gemeinsamer Anstrengung kleinteilige Siedlungsanlagen errichteten.
Mitte 2005 wurden dann die ersten Bauträgerwettbewerbe ausgelobt. Ich habe damals im Auftrag der „EGW Heimstätte“ ein Wettbewerbsteam zusammengestellt, zusammen mit Anna Popelka und Georg Poduschka (PPAG) haben wir den Wettbewerb für die südlichsten drei Bauplätze am Orasteig gewonnen.
Zum Projekt Orasteig gibt es auf Ihrer Homepage folgenden Satz:
„… und übernimmt das Siedlungsmanagement“. Was ist darunter zu verstehen?
Damit eine neue Wohnsiedlung „zum Leben erweckt“ werden kann, genügt es nicht, bloß ein schönes Gebäude hinzustellen, es müssen die neuen BewohnerInnen, für die ja mit Bezug auch ein neuer Lebensabschnitt beginnt, bei ihrer „Einwohnung“ in die neuen Verhältnisse begleitet und unterstützt werden. Jede neue Wohnhausanlage ist auch ein neuer „gesellschaftlichen Mikrokosmos“, bei dem Demokratie gelebt und geübt wird, es müssen Regeln gebildet und ein demokratisches Miteinander eingeübt werden. Die Wohnungsgemeinnützigkeit bietet dafür auch eine besonders gute Grundlage.
Diesen sozialen Prozess des Einander Kennenlernens, Aufeinander Zugehens und Miteinander Gestaltens der BewohnerInnen haben wir vom Beginn der Wohnungsvergabe bis ein Jahr nach Bezug strukturiert und begleitet.
Was kann dieses Projekt, was andere Wohnbauten (in Österreich) nicht (so gut) können? Was ist ein Wohnhof?
Als Grundlage der „Wohnungsdemokratie“ haben wir zunächst ein Mietermitbestimmungsstatut mit sehr weitgehenden Mitbestimmungsrechten entwickelt, das Bestandteil jedes Mietvertrages ist. Die Bewohnerversammlung, das „Parlament“ des Wohnhofs Orasteig, hat einen Mieterbeirat gewählt, der in verschiedenen Bereichen die sozialen Aktivitäten in der Wohnhausanlage koordiniert, aber auch die Vertretung der BewohnerInnen gegenüber der Hausverwaltung übernimmt.
Weil Mitbestimmung auch einen Gegenstand der Mitbestimmung braucht, der über die eigene Wohnung hinausgeht, haben wir im Wohnhof Orasteig eine überdurchschnittlich große Zahl an Gemeinschaftsräumen und gemeinschaftlich genutzten Freiflächen geschaffen, die von den BewohnerInnen selbst gestaltet und verwaltet werden.
Die Hausverwaltungen der beiden beteiligten Wohnungsunternehmen EGW Heimstätte und Heimat Österreich waren am Anfang eher skeptisch. Heute sind sie überzeugt, weil die Mitbestimmung Arbeit erspart und die Beziehung zu den BewohnerInnen besser und vor allem klarer ist als in anderen Wohnhausanlagen. Sie möchten das Konzept nun auch in anderen Wohnhausanlagen umsetzen.
„Wohnhof“ haben wir das Projekt genannt, weil die drei Bauteile um einen großen Platz gruppiert sind, für den wir übrigens in Kooperation mit der Wiener Stadtplanung eine Umwidmung erreichen konnten, und der jetzt statt als Straße als Platz gestaltet wurde, den mittlerweile vor allem die kleineren Kindern als ihren bevorzugten Bewegungsraum auserkoren haben. „Wohnhof“ heißt er aber auch, weil dieses Wort den Aspekt des Zusammenwohnens und der Gemeinschaft besonders gut ausdrückt.
Keine der 169 Wohnungen, über 22 Stiegenhäuser erschlossen, gleicht der anderen. Ist das ökonomisch vertretbar?
Wir wollten bewusst eine besonders individuelle Wohnhausanlage schaffen, die der Bezeichnung „Neue Siedlerbewegung“ gerecht wird und nicht bloß eine „Wohnmaschine“ ist. PPAG haben dafür ein raffiniertes Erschließungskonzept und eine Wohnungstypologie entwickelt, die mehr das Feeling einer kleinen Siedlung als eines großen Geschoßwohnbaus vermittelt. Die Mehrzahl der Wohnungen haben sehr große Privatterrassen, wir haben insgesamt mehr als 3.000 m2 Terrassenflächen errichtet.
Bei aller Individualität haben wir sehr ökonomisch geplant und gebaut. Das Projekt wurde ein Jahr früher fertiggestellt als die beiden angrenzenden Siegerprojekte desselben Bauträgerwettbewerbs. Die Herstellungskosten liegen etwa 10% unter denen vergleichbarer Projekte aus dieser Zeit.
Welche (interessanten) Ideen und Konzepte gibt es noch bei dem Projekt?
Neben dem architektonischen und sozialen Konzept haben wir uns besonders auch ökologischen Aspekten gewidmet. Die Baustelle wurde nach den „RUMBA-Richtlinien“ für umweltfreundliche Baustellenabwicklung abgewickelt. Wir waren zugleich die erste Wiener Musterbaustelle für staubarmes Bauen.
Der hohe Umweltstandard des Wohnhofs Orasteig zeigt sich aber auch in der Wahl hochwertiger Baumaterialen (z.B. Ziegelbauweise, Holz-Alu-Fenster) und der sehr guten Wohnungsausstattung (Parkettboden, Trass-Kalk-Putz an den Innenwänden).
raum & kommunikation hat selbst die Örtliche Bauaufsicht übernommen, so konnte die hohe Qualität bis zur Fertigstellung durchgehalten werden.
Wo fand der Ziegel Verwendung bzw. ergaben sich Vorteile durch die Verwendung?
Der Ziegel kam als Ausfachungsmauerwerk der nicht tragenden Wände zur Ausführung, das Tragwerk besteht aus einer Stahlbeton Stützen-Scheiben-Elementdecken-Konstruktion. Das ist derzeit eine der günstigsten und bauökologisch hochwertigsten Ausführungen. Wir haben den Ziegel innen mit einem (relativ kostspieligen) Trass-Kalk-Putz und einer diffusionsoffenen Wandfarbe kombiniert, außen ist Vollwärmeschutz mit Silikatputz ausgeführt. Das ergibt fast unschlagbare bauphysikalische Eigenschaften, die sehr gute Feuchtepufferung und die kühlen Wandoberflächen machen das gute Innenraumklima auch für die BewohnerInnen fühl- und erlebbar.
Wir hatten ursprünglich vor, sämtliche Wohnungstrennwände und Außenwände aus ungebrannten Lehmziegeln mit Lehmputz auszuführen. Leider scheiterte das an den „Kinderkrankheiten“ dieses noch jungen (doch zugleich uralten) Produkts.
Vielen Dank für das interessante Gespräch mit dem Verband Österreichischer Ziegelwerke!